Semantische und syntaktische Generalisierungen in der frühen Kindersprache

Semantische und syntaktische Generalisierungen in der frühen Kindersprache

Sprecher: Sonja Eisenbeiss

 

Titel: Semantische und syntaktische Generalisierungen in der frühen Kindersprache

Abstract:

Selbst eng verwandte Sprachen unterscheiden sich oft in den Beschränkungen für den Gebrauch grammatischer Konstruktionen. Zum Beispiel haben sowohl Englisch als auch Deutsch s-Possessivkonstruktionen (Annas/Mamas Haus ‚Anna’s/mommy’s house’) und präpositionale Possessivkonstruktionen (das Haus von der Frau mit der dunklen Brille ‚the house of the lady with the dark glasses’). Im Deutschen kann -s nur mit unmodifizierten Eigennamen und Verwandtschaftsbezeichnungen kombiniert werden (*der/die Annas/Mamas/Mutters Haus vs. das Haus von der Anna/Mama/Mutter). Im Englischen ist -s hingegen mit komplexen Phrasen kompatibel (the old lady’s house). Ob s-Possessoren oder Präpositionalphrasen gewählt werden, hängt hier von nicht-syntaktischen Faktoren ab. Insbesondere bevorzugen Sprecher für belebte Possessoren das s und für unbelebte die Präpositionalkonstruktion (the lady’s house vs. the wheel of the car). Andere syntaktische Beschränkungen gelten für beide Sprachen. Insbesondere sind s-Possessoren inkompatibel mit Artikeln oder Demonstrativpronomina in Possessivphrasen (* Mamas ein/dieser Freund ‚mommy’s a/this friend’ vs. ein/dieser Freund von Mama ‚a/this friend of mommy’).

In unserem Vortrag untersuchen wir den Erwerb dieser Beschränkungen anhand von naturalistischen und semi-naturalistischen Daten deutscher und englischsprachiger Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren. Keines der Kinder verletzt die syntaktische Beschränkung, die Kombinationen von s-Possessoren mit modifizierten Possessumphrasen verbietet; und englische Kinder zeigen von Anfang an Belebtheitseffekte bei der Wahl von Possessivkonstruktionen.

Allerdings erwerben deutsche Kinder s-Konstruktionen vor Präpositionalkonstruktionen. Daher können sie nicht immer die erforderliche Präpositionalkonstruktion verwenden - und übergeneralisieren -s auf Possessoren, die weder Eigennamen noch Verwandtschaftsbezeichnungen sind (z.B. Katzes Bauch). Selbst in diesen Übergeneralisierungen respektieren Kinder aber die deutschen syntaktischen Beschränkungen und verwenden s-Possessoren stets ohne Modifikatoren, obwohl sie dieselben Nomina in anderen Kontexten mit Artikeln kombinieren. Insgesamt sprechen diese Befunde dafür, dass Kinder die einzelsprachlichen syntaktischen Beschränkungen für Possessivkonstruktionen bereits sehr früh erwerben und syntaktische Beschränkungen in Konfliktsituationen eine zentrale Rolle spielen.