Sprecher: Sylwia Obrebska
Empirische Untersuchung des Konzepts der Abgeschlossenheit/ Nicht-Abgeschlossenheit anhand des grammatischen Aspekts im Polnischen und des Artikelsystems im Deutschen.
In der historischen Sprachwissenschaft gibt es viele Erklärungsversuche zur Herausbildung des Artikels. Keine der Thesen konnte jedoch in facto überzeugen. Nach Leiss (2000) entgeht unserer Aufmerksamkeit möglicherweise das, was a priori als irrelevant beachtet wird. Sie schlägt vor, den Blick auf den Bereich zu lenken, der bei den Entstehungstheorien des Artikels vernachlässigt wurde: den Bereich der Verbalkategorien. Das primäre Ziel soll sein, die bisherigen Überlegungen in diesem Bereich um die Interaktionsmuster zwischen Nominal- und Verbalkategorien zu ergänzen und den Forschungsfokus auf den Vergleich der Sprachen zu richten, in denen diese Kategorien durch unterschiedliche grammatische Muster realisiert werden. Eine Vergleichsgrundlage können artikellose Sprachen, z. B. das Polnische, und Sprachen, in der Artikel eine obligatorische Kategorie sind, z. B. das Deutsche, darstellen. Obwohl im Polnischen eine sichtbare Markierung des Artikels fehlt, wird die Definitheit/Indefinitheit gleichwohl realisiert. Es werden lediglich andere grammatische Mittel eingesetzt, um dies auszudrücken. Die Realisierung ein und derselben Funktion wird laut Leiss (2000) einmal vom Nomen, im anderen Fall vom Verb übernommen. Nun stellt sich die Frage, welche grammatische Kategorie im Polnischen genau diese Artikelaufgaben erfüllt. Leiss (2000) bringt die nominale Definitheit in einen engen Zusammenhang mit dem verbalen Aspekt und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf das bisher Unerforschte. Da die bis heute verfügbaren Studien unzureichend sind, um aussagekräftige Rückschlüsse über das Zusammenspiel des Artikels und des Aspekts zu ziehen, geht es in meinem Vorhaben um die Überprüfung dieser Hypothese. In einem weiteren Schritt soll die Annahme revidiert werden, dass die grammatischen Unterschiede in beiden Sprachen eventuell auf die konzeptuellen Unterschiede in diesen zurückzuführen sind. Die Konzeptualisierungsschemata schließen nämlich gewisse Präferenzen für Informationsverarbeitung der Vertreter verschiedener Sprachen mit ein. Als Grundlage werden dabei die Sprachproduktionsexperimente mit Blickbewegungserfassung dienen, die beweisen, dass Sprecher verschiedener Sprachen bei der visuellen Wahrnehmung und Versprachlichung von Einzelereignissen unterschiedlichen Kriterien in der Aufmerksamkeitslenkung und Konzeptualisierung folgen (Schmiedtová 2003, 2008, 2009; Caroll, v. Stutterheim & Nüse 2004; Caroll & v. Stutterheim 2005; Schmiedtová & Flecken, 2008). Meine Studie soll vor allem Präferenzen und Tendenzen in den untersuchten Sprachen präsentieren und einen Beitrag für den Bereich des Zweitspracherwerbs leisten.
Leiss, Elisabeth (2000): Artikel und Aspekt: die grammatischen Muster von Definitheit. Berlin, New York: de Gruyter.
Schmiedtová, Barbara & Flecken, Monique (2008): Aspectual concepts across languages: some considerations for second language learning. In: Pedagogical Grammar (Sabine de Knop & Teun de Rycker, Eds.), Berlin: Mouton de Gruyter, S. 357-384.
Schmiedtová, Barbara (2003): Aspekt und Tempus im Deutschen und Tschechischen: vergleichende Studie. In: Höhne, S. & Nekula, M. (Eds.): Germanistisches Jahrbuch Slowakei: Schwerpunkt Sprachwissenschaft. Praha: Lidové noviny, S. 185-216.
Schmiedtová, Barbara (invited talk): From Seeing for Speaking to Seeing for Speaking. Hengstberger- Symposium Heidelberg, IWH, Universität Heidelberg, März 2008.
Schmiedtová, Barbara (invited talk): Seeing for Speaking - oder wo die Sprache das Denken formt.Heinz-Göhring-Kolloquium, SÜD, Universität Heidelberg, Januar 2009.
Stutterheim, Christiane v.; Carroll, Mary & Nüse, Ralf (2004): The language and thought debate: a psycholinguistic approach. In: C. Habel und T. Pechmann: Approaches to Language Production. Berlin: Mouton, S. 183- 218.